Apples Zeitmaschine

Seit zwei Wochen trage ich eine Apple Watch  – ein Geburtstagsgeschenk von wohlwollenden Freunden zum runden Geburtstag. Zwei Wochen sind ausreichend Zeit, um zahlreichen Zweiflern und zaudernden Zeitgenossen die brennende Frage zu beantworten: „Za wos braucht ma sowos?“.

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Meine Antwort – vorneweg – teilt die Menschheit in drei Gruppen ein, gedacht auch als Empfehlung und zur persönlichen Orientierung:

Wer bisher keine Uhr hatte, dem bietet auch die neueste Errungenschaft aus dem Hause Apple keine ausreichenden Argumente.

Wer eine Uhr trägt als zeitlose Vergewisserung von Wert und  Tradition – womöglich über Generationen oder als Geschenk – für den ist sie kein würdiger Ersatz.

Für alle anderen ist sie mittelfristig ein ernst zu nehmendes Accessoire, das sich – insbesondere für ein Gerät der ersten Generation – von Anfang an überraschend ausgereift, robust und durchdacht präsentiert.

Ich zähle mich zur letzteren Gruppe und für mich ist die Apple Watch – zur Vorwarnung, es folgt ein leidenschaftliches Bekenntnis – die Uhr, die ich immer schon haben wollte.

Auch bei Uhren gibt es vermutlich eine Sozialisation und meine dient ganz subjektiv als nachträgliche Erklärung für die nun entfachte Begeisterung. Als Kind der 80er war meine erste Uhr eine Digitaluhr aus dem Hause Casio (Modell DBC 610). Das Gerät aus Stahl konnte sage und schreibe 50 Telefonnummern speichern. Außerdem offerierte die Anzeige eine Übersicht für die kommenden zwei Wochen, wobei auf einen Blick abzulesen war, ob am Vormittag oder Nachmittag des jeweiligen Tages bereits ein Termin eingetragen war. Im dicht verplanten Terminkalender eines Zwölfjährigen eine echte Sensation.  Nicht zu vergessen die Stoppuhr und der Taschenrechner! Beeindruckender Weise gibt es diese Uhr bis heute noch, und wie ich gerade feststellen konnte, mit unverändert guter Kritik.

Casio

Würdige Konkurrenten im Kampf um „Koolsein“ waren natürlich diverse Swatches bis die erste Polar-Uhr (Modell Titanium) mein Armgelenk zieren durfte, inklusive einem Feature, das sie davor bewahrte, von einem Handy verdrängt zu werden: Das Messen meines Pulses, das entsprechende Brustband vorausgesetzt – ideal um sportlich zu wirken, wohl auch in Zeiten, in denen man es nicht ist.

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Von kurzer Dauer waren dabei auch meine ersten Versuche,  Produkte von Apple quasi zur Uhr zwangszukonvertieren: mein erster iPod-Nano mit Uhrendisplay inklusive zahlreicher Uhrenbänder zur Auswahl.

Abgesehen davon, dass es ästhetisch tatsächlich bereits eine gelungene Umsetzung war, war das größte  Feature für mich: UKW-Empfang. (So hat eben jeder seine Vorlieben.) Die zwei größten Nachteile: Um zu sehen, wie spät es ist, musste man auf der Seite den Knopf drücken (naturgemäß mit der anderen Hand!). Und beim zweiten Mal mit ihr duschen begann ich, an meiner Lernfähigkeit zu zweifeln.

Die Idee, mit meiner Uhr zu sprechen, ihr Befehle zu erteilen und über sie zu telefonieren, realisierte ich bereits im vergangenen Jahr ungeduldig mit einem Modell aus dem Hause Martian – nach eigenen Angaben „The World’s First Voice Command Smartwatch“. Bestechend dabei: Totale Integration von Siri, dazu eine analoge Uhr, um  bei der Kernfunktion Uhrzeit nicht von regelmäßiger Ladeintervallen abhängig zu sein. Designtechnisch durchaus tauglich, um mir als potenziellem Möchtegern-Geheimagenten aus dem Repertoire von Mr. Q überreicht zu werden.

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Eigentlich nicht wasserfest (natürlich hab ich es gleich in Woche zwei beim Sprung ins Wasser probiert – Fazit: Sie trocknet von allein, bevorzugt von Reiskörnern umgeben), bietet diese Uhr auch eine erste Gelegenheit zu erkennen, wie unhöflich es gesehen wird, während persönlicher Gespräche  auf die Uhr zu blicken, insbesondere wenn sich durch für das Umfeld unhörbare Vibrationen die nächste digitale Depesche ankündigt.

Die Lektion aus dieser Geste – davon bin ich fest  überzeugt – wird übrigens  in den kommenden Jahren die große sozio-kulturelle Herausforderung für den leidenschaftlichen Smartwatch Benutzer, sofern die soziale Ächtung nicht als eingebautes Feature inkludiert sein will. Pointiert formuliert  in dieser Betrachtung “It turns out that checking your Watch over and over again is a gesture that carries a lot of cultural weight“

Nun zu meinen Erwartungen an die Apple Watch: Als jahrelanger Windows-Nutzer bin ich ein vergleichsweiser später Apple-Konvertit. Final ausschlaggebend war ein Urteil aus diesem Blog als Hilfestellung für potenzielle Umsteiger mit einer prägnanten Metapher: „Ein Windows-PC wirkt wie ein übereifriger Lehrling, der seinen Chef über jeden Schritt informiert und bei jeder Tätigkeit fragt, ob der das denn auch machen darf. Ein Mac ist eher wie ein erfahrener, langjähriger Arbeitskollege, der zielsicher seinen Job macht.“ Ich finde bis heute, das trifft es sehr auf den Punkt und nach meinem würdigen Eintritt in die Apple Welt kann ich das sieben Jahre später bestätigen. (Ergänzen würde ich heute außerdem, dass mein „Lehrling“ auch über Jahre hindurch sein Tempo beibehalten hat – im Unterschied zum immer langsamer werdenden Windows-„Kollegen“.)

Warum ich das schreibe? Auch eine Smartwatch hat bei aller Verspieltheit nur eine echte Berechtigung, wenn es den Informationsstress reduziert und den Blick auf das Wesentliche erleichtert – und nicht noch mehr nervt. Gewissermaßen der Assistent als Unterstützung zum langjährigen Kollegen, unmittelbar am Handgelenk. Der Apple Watch gelingt das souverän und relativ reibungslos. Sie agiert als eine Art Fernbedienung für wichtige Funktionen des iPhones, ohne  das  Smartphone zur Hand nehmen zu müssen, sie ist Messgerät für den Herzschlag (aber ohne ein Pulsband zu benötigen) und sie ist persönlicher Navigator am Armgelenk – last, but not least:  Sie bietet als Uhr und Zeitmesser eben all das, was eine Uhr können soll, wenn sie maximale Rechenleistung auf sich vereint, visualisierte Plantenkonstellation und dimensionale Mondphasen inklusive.

Der „Schlüssel“ für die zufriedene Nutzung ist sicher die maximale Reduktion der Benachrichtigungen, so dass nur wirklich wesentliche Mitteilungen durchdringen und dezent am Handgelenk klopfen, und sie bietet vor allem dann einen Mehrwert, wenn man selbstbestimmt jene Funktionen abruft, die man gerade braucht. Im Regelfall reicht dafür der routinemäßige Blick auf die Uhr. Diese Einstellungen individuell vorzunehmen, das gelingt nicht jedem.  Tatsächlich ist zu attestieren, dass die Bedienung relativ anspruchsvoll ist und eine gewisse Grundneigung voraussetzt, mit Geräten herumzuspielen und sie auszuprobieren. Das schränkt die potenzielle Zielgruppe sicherlich noch mal ein, auch wenn spürbar viel Gedankenarbeit in das neue Interface und seine vielen Elemente geflossen ist.  

Meine in den vergangenen zwei Wochen gewonnenen Erkenntnisse:

  • Auch Telefonieren am Handgelenk ist technisch kein Problem und  – das attestieren auch Gesprächspartner – akustisch sehr ausgereift, maximal dass der Arm beim Hochhalten schlapp macht.
  • Aber: Die Uhr ist auch wegen des kleinen Displays kein vollwertiger Ersatz für das Handy  – insbesondere beim Surfen im Internet, einen eigentlichen Browser gibt es daher auch nicht. Viele Apps fokussieren sich auf einen klaren Mehrwert am Handgelenk und „übergeben“ bei Bedarf relativ reibungslos auf das größere Display. Vorbildhaft gelöst zB. bei amazon, deren Interface ausschließlich erlaubt, das zu suchende Objekt der Begierde diktiert zu bekommen, um daraufhin die Einkaufmöglichkeiten zu präsentieren.
  • Apropos: Die Eingabe über die Siri funktioniert außerordentlich gut, und zeigt einen für die kommenden Jahre wichtigen Weg auf, wie wir mit Connected Devices kommunizieren. Nettes Detail: Anders als am iPhone ist Siri per wir. Sind wir nun eins?


  • Kann man über die Apple Watch schreiben, ohne „K.I.T.T., hol mich hier raus!“ zu zitieren? Nein, man kann offensichtlich nicht. In diesem Zusammenhang: Mit der App von DriveNow  das nächstgelegene Auto zu suchen, aufzusperren und nach Inbetriebnahme wieder abzusperren, hat schon was von:. Wie heißt es so schön. The best way to predict the future is to invent it. 

  

  • Tatsächlich hilfreich ist die Navigationsfunktion, wenn man zu Fuß oder mit dem Motorroller auf unbekanntem Terrain unterwegs ist, und die Uhr  per dezenter Vibration am Armgelenk aufwartet, um Hinweise zum Abbiegen zu geben.


Den größten Nachteil möchte ich nicht unerwähnt lassen: Es ist nicht der Akku der Uhr (der ist tatsächlich bis zum Aufladen über Nacht im Regelfall völlig ausreichend), sondern es ist der Akku des Smartphones (bei mir iPhone 5S): Durch die permanente Verbindung (über Bluetooth) mit dem Smartphone ist auf diesem die Akkuleistung quasi im freien Fall und benötigt eine gewisse Disziplin aber vor allem immer wieder mal Aufladen. Ein kleiner, fast paradoxer Trost: Fahrscheine oder Boardingpässe bleiben im wahrsten Sinne zur Hand, selbst wenn das iPhone sich verbschiedet.

Meine persönliche Zukunftsprognose: Emanzipiert sich die Uhr eines Tages vom Smartphone – und sei es nur  als temporäres Device für ein paar Stunden  – inklusive Telefon- und GPS-Funktion, wird die potenzielle Zielgruppe noch mal anders zu segmentieren sein. Wer weiß, vielleicht wird sie ja eines Tages sogar per kinetischer Energie aus dem Handgelenk gespeist. Aber bis dahin haben wir sicher auch selbstfahrende Autos. K.I.T.T., hol mich hier raus!

gloriousperiod

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