Ich gestehe: Mein Motiv, André Hellers Biographie zu lesen, lag in der Wertschätzung für den Autor des Werkes und nicht in der Sympathie für den Porträtierten.
Seit ich mich erinnern kann, erlebte ich André Heller als selbstverliebten Selbstdarsteller, mit einer Singsangstimme, die mich nicht berührte, um nicht zu sagen, die mich nervte. Ein Wichtigtuer, ein raunziges Wienerkind seiner Zeit, Profiteur und selbstgefälliger Politikkommentator einer sich etablierenden Massenmediengesellschaft, dessen Verdienst es war, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.
Die Lektüre von Christian Seilers „Feuerkopf. Die Biografie“ hat mich geläutert: André Heller zu lesen, ihn verstehen zu lernen, ist auf eine Atem beraubende Weise inspirierend, ist ein Blick auf einen kreativen wie anspruchsvollen – ich bin verleitet zu sagen – dramaturgischen „Strippenzieher“ der Nachkriegsgeschichte, dessen Wirkungsmacht sich über Europa, Indien, Asien, auf Afrika und Nordamerika erstreckt. In diesem Ausmaß war mir das bis vor kurzem nicht klar.
Drei Themen, die mich – ganz subjektiv – besonders beeindrucken und beschäftigen:
– André Heller zeigt die Kraft und das Potenzial, wie viel eine Einzelperson bewegen, verändern, organisieren – ganz österreichisch formuliert – „aufstellen“ kann. Er schlüpft im Laufe seines abwechslungsreichen Lebens auf eine fast märchenhafte Weise in so viele Rollen, das man glauben muss, es reicht zu beschließen, dass man was kann. Im Unterschied zu vielen anderen „kann“ er wirklich. Seien es schwimmende Riesen aus Bambus in den Hafen von Hongkong zu zaubern, sei es, indisches Tanztheater für einen Tag zu inszenieren, Broadwayaufführungen in New York zu verantworten, künstlerisch anspruchsvolle wie vergnügliche Familienrummelplätze in Hamburg zu organisieren, Interventionen in Gartenanlagen zu setzen oder berührende Filme als Zeitgeschichtsdokument zu drehen. Freilich: Ohne die vielen Helferlein ginge auch bei Heller nichts, aber auch die gilt es zu ermächtigen, zu befähigen und zu koordinieren. Und das eben nicht nur einmal.
– Wie ein roter Faden zieht sich sein Versuch einer Verbindung aus Kunst und Massenattraktivität, einer Verschmelzung von Kultur und kommerziellem Erfolg durch sein Leben. Das macht ihn in den Augen vieler verdächtig, wie Christian Seiler an mehreren Stellen diagnostiziert. Hellers Bemühen um eine Symbiose aus zwei Welten, die bekanntermaßen nicht unbedingt widersprüchlich sein müssen, halte ich für Hellers großes Verdienst. Das Buch zeigt auch die Schattenseiten auf: Der Preis ist wohl im Erfolgsfall Neid und gleichzeitig von den dogmatischen Vertretern der reinen „Kunst“-Lehre Unverständnis und Entzug der Anerkennung.
– Opfer der eigenen Vorurteile zu sein, empfinde ich als aufwühlend. Wie kann es sein, dass Image, Eindruck und das durch eine Biographie vermittelten Bild so stark auseinander klaffen, wie es bei mir der Fall war? Christian Seiler hat sprachlich versiert ein genaues, spannendes Portrait gezeichnet, das bei aller spürbaren Sympathie für den Protagonisten die kritische Distanz nicht missen lässt. Mir zeigt es, dass ich mich in André Heller getäuscht habe, er hat nun Eintritt in mein virtuelles Helden-Walhalla gefunden. Dass dafür erst der vertiefende, verweilende Blick zwischen zwei Buchdeckel notwendig war, bleibt unbefriedigend.
Die tröstende Erkenntnis: André Heller hat in einem Unrecht. Die wahren Abenteuer sind nicht im Kopf, sie sind das Leben. Bei André Heller ist das Leben ein Kunstwerk, in dem nichts ist, wie es scheint. Womit sich der Kreis wieder schliesst.
Ein Freund von mir, der Andre Heller nicht nur sehr ähnlich sieht sondern auch so denkt wie er und ein begnadeter Künstler war und jetzt leider schwer krank ist, (MS) an den Rollstuhl gefesselt und auf Hilfe angewiesen, spricht nur italienisch.
Gibt es diese neue Buch auch schon auf italienisch?
Es währe mir ein Herzensbedürfnis meinem Freund dieses Buch zu schenken.
Mit vielen Grüßen
Ronald Sinda
Wessobrunn