Wie oft hab ich mir das schon gedacht: Die ideale Form, Städte zu bereisen, ist, Interesse heuchelnd (pfui!) vorab einen Immobilienmakler zu beauftragen und mit ihm diverse Wohnungen in der fremden Stadt abzuklappern. Die Überlegung: Ein einzigartiger Einblick gekoppelt mit lokalem Wissen erlaubt dann ein abwechslungsreiches Schauen im wahrsten Sinn hinter die Fassaden der touristischen Sehenswürdigkeiten – wenn auch wohl meist unmöbliert. Soweit die trockene Theorie, probiert hab ich’s nämlich noch nicht.
Bis Freitag. Seit dem weiss ich: Es gibt nur wenig Aufregenderes, Anregenderes und Abartigeres, als fremde Wohnungen von fremden Menschen zu inspizieren. Geführt hat zwar nicht der Makler, sondern (mit unsichtbarer Hand) ein Regisseur, aber dafür war in allen sieben besuchten Wohnungen (fast immer) volles Interieur vorhanden. Ort der indiskreten Raumbeschauung war das Stuwerviertel im zweiten Wiener Gemeindebezirek – vielleicht nicht die typische Destination für Urlaub in der eigenen Stadt, aber als Stätte städtischen Wandels ein wohl ideales Perlustrationsobjekt. Basierend auf der Idee und der Konzeption des Berliners Matthias Lilienthal wurde die Idee seit 2002 in den Städten dieser Welt herumgereicht, um nun 2009 offenkundig in Wien Station zu machen – und zwar im Rahmen des Festivals Brut.
Wie neu die Idee, Kunst und Theater in Privatwohnungen stattfinden zu lassen, auch immer sein mag: Ich liebe es, wenn Theater den starren Rahmen der „Bretterbühne“, die die Welt bedeutet, verlässt, um dort hinzugehen, wo die Welt bedeutend ist, und einmal mehr die Ungewissheit zwischen Wirklichkeit und Inszenierung spürbar macht – vor allem, wenn es so gut gemacht ist, wie in Wien: Ich war mit Taschenlampen in finsteren, voll geräumten Dachwohnungen, erlebte einen singenden Hund, spielt bei bedrohlicher Stechschrittgeräuschkulisse in einer fremden Wohnung verstecken und wurde von der Sex-Performance-Künstlerin Ann Liv Young im Pfarrhof (!) der Mexikokirche therapiert. Sechs Kilometer (einer Schnitzeljagd nicht unähnlich) hin- und her durchs Struwerviertel und fast vier (!) Stunden später, war nach sieben Wohnungen ein gewisser Grad an Erschöpfung erreicht, was aber kein Gradmesser für die Einzigartigkeit des Erlebnisses sein soll. Ab sofort reise ich dem Projekt X Wohnungen hinter her, dann spar ich mir die Maklertour…
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